Farbenlehre in Vergangenheit und Zukunft

Kritischer Rückblick auf Ittens Farbenlehre

Der Maler Johannes Itten war als Lehrer am Bauhaus tätig. Im Jahre 1961 veröffentlichte er sein Buch "Kunst der Farbe". Darin stellte er eine Auswahl der bis dahin üblichen Vorstellungen der Farbenlehre zusammen. Vornehmlich orientierte er sich an dem, was Newton, Goethe, Runge und Hoelzel über Farbe gedacht und geschrieben hatten.

Sicherlich nicht zuletzt deshalb, weil es über dieses Thema keine anderen für den Unterricht brauchbaren Veröffentlichungen gab, wurde das Buch in viele Sprachen übersetzt und fand weltweite Verbreitung. Das ist nun mehr als ein Drittel Jahrhundert her. Leider wird nach diesem Buch noch heute in vielen Hochschulen, Fachschulen, Gewerbeschulen und allgemeinbildenden Schulen unterrichtet. Was Itten zusammentrug, waren die Vorstellungen seiner Zeit. Dabei handelte es sich meistens um intuitive Künstler-Konzepte.

Jeder, der einmal praktisch versucht hat, nach Ittens Anweisung aus seinen drei Grundfarben einen Farbenkreis auszumischen, hat erleben müssen, dass das nicht funktioniert. Aus zwei seiner "Grundfarben" ein reines Violett oder ein reines Grün zu mischen ist unmöglich. Es ist ebenso unmöglich, wie aus diesen drei Farben durch Mischung Schwarz entstehen zu lassen. Die von Itten gemachten Aussagen sind heute überholt. Heute haben wir beweisbare Erkenntnisse. Farbenlehre gehört zum Bereich der Naturwissenschaften.

Ittens Farbkreis

Bedauerlicherweise wird in vielen Schultypen noch heute nach Itten unterrichtet und damit Falsches gelehrt und gelernt. Beginnen wir mit der Kritik bei dem abgebildeten Farbkreis:

Die natürliche Ordnung der reinen bunten Farben ist die lineare Anordnung nach Wellenlängen im Spektrum. Die Darstellung der bunten Grundfarben in einem Kreis widerspricht dieser natürlichen Ordnung, in der es nur geradlinige Verbindungen gibt (vergleiche Sechseck der verschiedenen Buntarten).

Die drei von Itten so genannten Grundfarben Gelb, Rot und Blau, die im Kreis ein Dreieck bilden, sind gar keine Grundfarben. Vielmehr handelt es sich bei ihnen bereits um Mischfarben, um Sekundärfarben. Das Itten-Blau ist eine Mischung der Grundfarben Cyanblau und Violettblau, das Itten-Rot ist eine Mischung der Grundfarben Orangerot und Magentarot. Das Itten-Gelb kommt der Grundfarbe Gelb zwar nahe, aber auch dieses Gelb ist eine Mischung aus der Grundfarbe Gelb, der etwas von der Grundfarbe Orangerot beigemischt ist.

Die drei Itten-Farben Orange, Grün und Violett, die in seinem Schema das innenliegende Dreieck zum Sechseck ergänzen, sind nicht, wie behauptet wird, durch Mischung von jeweils zwei der Itten-Grundfarben entstanden. In dem Buch "Kunst der Farbe" sind sie als Zusatzfarben gedruckt. Nur das Orange lässt sich aus den beiden Itten-Farben Gelb und Rot einigermaβen nachmischen. Mischt man sein Rot und sein Blau zusammen, erhält man eine bräunliche Farbe mit einem Lila-Farbstich. Und die Mischung aus seinem Blau und seinem Gelb führt zu einem Olivgrün. Ganz ausgeschlossen ist es, aus diesen drei Farben ein Schwarz zu mischen. Man erhält bestenfalls ein dunkles Grau.

Ebenfalls ist es unmöglich, aus seinen Gegenfarben-Paaren (Komplementärfarben), wie von ihm behauptet wird, neutrales Grau zu mischen. Bei den entstehenden Mischergebnissen handelt es sich um bunte Tertiärfarben.

Der Farbenkreis von Itten ist nicht komplett. Einige reine bunte Farben fehlen darin vollständig. Die bunte Grundfarbe Magentarot ist nicht vorhanden. Auch die bunten Grundfarben Violettblau, Cyanblau und Grün sind nur in groben Annäherungen vertreten. Ebenso stimmen das Gelb und das Orangerot nicht genau.

In dem Itten-Schema fehlen die beiden unbunten Grundfarben Weiβ und Schwarz als gleich wichtige und gleichberechtigte Ausgangsfarben vollständig. Ein solches Schema auf einen weiβen Hintergrund zu stellen, ist ein didaktischer Fehler. Der Hintergrund eines optimalen Schemas sollte ein mittleres Grau sein, damit die unbunten Grundfarben Weiβ und Schwarz auch tatsächlich als solche sichtbar werden können.

Es ist auch absurd, die Grundfarben Schwarz und Weiβ, wie Itten das vorschlägt, als "Nicht-Farben" zu bezeichnen. Es handelt sich bei ihnen um gleichwertige, gleichberechtigte, aber allerdings um unbunte Grundfarben. Denn sie sind selbstverständlich unverzichtbar für ein logisches Ordnungssystem aller Farben. Man wundert sich, dass der Maler Itten das nicht wusste. Denn 150 Jahre vor ihm war das von dem Maler Philipp Otto Runge bereits ausführlich erklärt und in seinen Veröffentlichungen deutlich dargestellt worden.

Ittens Farbenkörper

Als Farbenraum, als Farbenkörper, hatte sich Itten für die Kugel von Runge entschieden, die dieser im Jahre 1810 in Hamburg beim Verlag Friedrich Perthes unter dem Titel "Farben-Kugel" veröffentlichte. Das war 150 Jahre vor der Herausgabe des Itten-Buches "Kunst der Farbe". Die Kugel war für Itten gefühlsmäβig offenbar deshalb die konsequente dreidimensionale Form, um die Vielfalt der Farben in einer Ordnung darzustellen, weil das die Fortführung der Idee des Farbenkreises in die dritte Dimension war.

Aber als Itten sein Buch herausbrachte, hatte bereits etwa 40 Jahre vor ihm Wilhelm Ostwald den Doppelkegel als Farbenraum nicht nur vorgeschlagen, sondern auch in Schnitten durch den Farbenkörper ausgearbeitet und in systematischen Ordnungen dargestellt. Dieser Doppelkegel war bereits eine wesentliche Verbesserung, die Farbenvielfalt in eine dreidimensionale Ordnung zu bringen. Auch Ostwald wusste bereits, dass Weiβ und Schwarz gleichberechtigte Grundfarben sind. Wieso hat Itten das nicht zur Kenntnis genommen?

Auch von der Farbenordnung Alfred Hickethiers nahm Itten keine Notiz. Hickethier hatte als Farbenraum den Würfel präsentiert und einen Farbenatlas herausgebracht, in dem er Schnitte durch diesen Farbenraum in Form von systematischen Farbtabellen veröffentlichte. Er zeigte damit, welche Mischmöglichkeiten es für die transparenten Farben Gelb, Rot (Magentarot) und Blau (Cyanblau) nach dem Gesetz der Subtraktiven Mischung gibt. Hickethiers Farbenordnung war ein neuer Meilenstein auf dem Wege zu einem optimalen Ordnungssystem der Farben. Denn beim Würfel liegen die sechs bunten Grundfarben nicht mehr, wie bei der Kugel und dem Doppelkegel, auf der gleichen horizontalen Ebene. Die Grundfarben Gelb, Magentarot und Cyanblau liegen beim Würfel auf jener horizontalen Ebene, in deren Mittelpunkt ein helles Grau liegt, dort, wo sie von der Grauachse geschnitten wird. Im Mittelpunkt der Fläche, auf der sich die Grundfarben Violetblau, Grün und Orangerot befinden, liegt im Schnittpunkt mit der Grauachse dagegen ein dunkles Grau. Der Würfel ist damit ein weiterer Schritt hin zu einem optimalen Ordnungssystem der Farben. Die "Farbenordnung Hickethier" war 1952 erschienen, also 9 Jahre, bevor Itten sein Buch "Kunst der Farbe" herausbrachte. Trotzdem begnügte sich Itten damit, den Wissensstand des Jahres 1810 darzustellen.

Die sieben Farbkontraste

In Anlehnung an die Vorstellungen seines Lehrers Hoelzel spricht Itten von den 7 Farbkontrasten, die die charakteristischen Wirkungsweisen der Farben darstellen.

Streng genommen sind diese Farbkontraste Gestaltungselemente und keine Farbenlehre. Da sie aber oft so verstanden werden, folgt hier ein Vergleich von Küppers' ästhetischen Unterscheidungsmerkmalen mit Ittens Farbkontrasten:

  1. Unter Kontrast wird im allgemeinen ein deutlicher oder ein groβer Unterschied verstanden. Küppers hat deshalb den Begriff "ästhetische Unterscheidungsmerkmale" eingeführt, der auch kleine Unterschiede mit einschlieβt.
  2. Der von Itten genannte Simultan-Kontrast gehört in diese Kategorie überhaupt nicht hinein. Bei ihm handelt es sich um einen physiologischen Korrekturvorgang im Sehorgan, also nicht um einen ästhetischen, sondern um einen biologischen Aspekt.
  3. Auch sein Quantitäts-Kontrast ist kein ästhetisches Unterscheidungsmerkmal, sondern ein Gestaltungselement, denn er bezieht sich auf die Flächenverteilungen der Farben im Bild.
  4. Ittens "Farbe-an-sich-Kontrast" beinhaltet alle Unterschiede, die es bei Farben überhaupt geben kann: bunt-unbunt; hell-dunkel; rein-unrein; verweiβlicht-verschwärzlicht.
  5. Der dann besonders aufgeführte "Hell-Dunkel-Kontrast" entspricht dem Merkmal Helligkeit.
  6. Der "Kalt-Warm-Kontrast", sowohl als auch der "Komplementär-Kontrast", sind verschiedene Varianten des Merkmals Buntart.
  7. Und das, was Itten als "Qualitäts-Kontrast" bezeichnet, bezieht sich auf das Ausmaβ des Buntseins, bzw. des Unbuntseins der Farben. Küppers nennt dieses ästhetische Unterscheidungsmerkmal Buntgrad bzw. Unbuntgrad.

Zukunftsperspektiven

Die Bedeutung der Farbenlehre im Informationszeitalter leitet sich bereits aus der Tatsache ab, dass 80% der Informationen, die ein Mensch erhält, visuell übermittelt werden. Visuelle Information ist immer Farbinformation, denn Formen werden lediglich durch Farbunterschiede im Gesichtsfeld wahrgenommen. Demzufolge wird es immer wichtiger, die Erkenntnisse der Farbenlehre im Unterricht zu vermitteln und im Bereich der Informationsmedien anzuwenden.

Farbenlehre im Unterricht

Heute ist Farbenlehre in vielen Schulen noch ein Stiefkind. Aber in welchem Fach soll die Farbenlehre im Schulunterricht eigentlich angesiedelt sein? Farbenlehre betrifft in gleicher Weise die Fächer Biologie, Physik, Chemie, Mathematik (Geometrie und Mengenlehre) und das Fach Kunst. Die Wirkung von Farben gehört in das Fach Psychologie.
Küppers ist der Meinung, dass es nötig ist, ein neues Unterrichtsfach "Informationskunde und Medientechnik" einzuführen. Darin sollte das Funktionieren aller visuellen Kommunikationsmedien gelehrt werden, nicht nur des Internet und des Fernsehens sondern auch der Fotografie und des Mehrfarbendruckes. Gelehrt werden sollten neben den technischen Gegebenheiten die Möglichkeiten und Grenzen der Farbentstehung, der Farbmischung, der Farbwiedergabe und der Farbkorrektur in diesen Medien. In diesem Fach "Informationskunde und Medientechnik" hätte die Farbenlehre ihren richtigen Platz.

Für den Unterricht der Farbenlehre schlägt Küppers folgende Prämissen vor:

Bereits in den Kindergärten sollte den Kindern der Unterschied zwischen durchsichtigen (transparenten) und undurchsichtigen (deckenden) Farben erklärt bzw. gezeigt werden. Sie sollten bereits erfahren, dass es acht deckende Grundfarben gibt, nämlich zwei unbunte und sechs bunte. Und in der Grundschule sollte jedes Kind mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der es einen Malkasten mit den acht Grundfarben besitzt, auch über einen Farbenkompass verfügen.

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